Die Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte
(1961 bis heute)
Nach dem Zweiten Weltkrieg war es offensichtlich, dass die deutsche Sozial- und Wirtschaftsgeschichte ihre vormals führende Rolle an die britische, französische und US-amerikanische Fachwelt verloren hatte. Um hier wieder Anschluss zu finden, beschlossen Wilhelm Abel (1904-1985), Friedrich Lütge (1901-1968), Hermann Kellenbenz (1913-1990), Erich Maschke (1900-1982) und Herbert Hassinger (1910-1992) auf dem 11. Internationalen Historikertag 1960 in Stockholm die Gründung einer Organisation, die u. a. die internationale Zusammenarbeit fördern und die Interessen des Faches gegenüber der Öffentlichkeit und bildungspolitischen Entscheidungsträgern vertreten sollte.
Mit der am 18. Februar 1961 in Frankfurt am Main gegründeten Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (GSWG) wurde schließlich eine international ausgerichtete Vereinigung ins Leben gerufen, deren Ziel es bis heute ist, als Sprachrohr und Interessensvertretung der Sozial- und Wirtschaftshistoriker zu fungieren. In der Satzung der GSWG heißt es: Der „Zweck des Vereins ist die wissenschaftliche Pflege der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sowie die Vertretung der Interessen des Faches in der Öffentlichkeit und gegenüber den bildungspolitischen Entscheidungsträgern.“[1]
Im Hinblick auf die internationale Ausrichtung und um Fachkollegen aus Österreich und der Schweiz nicht auszuschließen, entschieden sich die Gründer bewusst dagegen, die Bezeichnung „deutsch“ in den Namen der Organisation aufzunehmen. Mit der Voranstellung der „Sozialgeschichte“ im Namen knüpfte man ausdrücklich an die Tradition der Disziplin in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert an. Diese Entscheidung war nicht zuletzt dem Einfluss Lütges geschuldet.
Friedrich Lütge, der bereits die Gründung federführend vorbereitet hatte, wurde zum Vorsitzenden, Hermann Kellenbenz zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Des Weiteren gehörten dem ersten Vorstand an: Wolfgang Zorn (1922-2004) als Schriftführer, Hans Mauersberg (1910-1989) als Schatzmeister und Herbert Hassinger als Beisitzer. Die Wahl leitete Herman Aubin (1885-1969).
Die GSWG pflegt seit ihrer Gründung Kontakte zu anderen Vereinigungen, wie z. B. zum Historikerverband und zum Wirtschaftshistorischen Ausschuss des Vereins für Socialpolitik. Damit steht die GSWG nicht nur mit Fachkollegen anderer Länder in Kontakt, sondern pflegt auch die Kontakte zwischen Sozial- und Wirtschaftshistorikern und Vertretern der Nachbardisziplinen. Zudem besteht ein enges Verhältnis zur Gesellschaft für Agrargeschichte sowie zu Vertretern der Technikgeschichte.
Seit Gründung der GSWG finden sich in den Mitgliederverzeichnissen die Namen sämtlicher führender Wirtschafts- und Sozialhistoriker (siehe auch Vorstandsmitglieder der GSWG). Im Gründungsjahr 1961 hatte die GSWG 56 Mitglieder (davon acht ausländische Einzelmitglieder), zehn Jahre später 170 (davon 45 ausländische Einzelmitglieder) und 1981 waren es 211 Mitglieder (davon 51 ausländische Einzelmitglieder). Am 1. Mai 2015 belief sich der Mitgliederbestand auf 192 Mitglieder. Über die Aufnahme neuer Mitglieder entscheidet der Vorstand. Vor allem in den ersten Jahren nach der Gründung war es keineswegs selbstverständlich, dass Bewerber auch tatsächlich aufgenommen wurden, zumal, so Abel, die Gründerväter „ursprünglich an eine kleine Arbeitsgruppe gedacht hatten, die sich aus Leuten zusammensetzen sollte, die wirtschaftshistorisch arbeiten“.[2]
Zunächst alle drei Jahre, seit den 1970er Jahren alle zwei Jahre veranstaltet die GSWG Arbeitstagungen. „Wir wollen voneinander lernen, wollen im Anschluß an die Referate […] miteinander diskutieren, Fragen stellen und Fragen beantworten“.[3] Mit diesen Worten eröffnete Friedrich Lütge die erste Arbeitstagung im Jahr 1963 – dieses Credo hat bis heute seine Gültigkeit behalten. Während die erste Tagung noch unter einem relativ eng umrissenen Arbeitstitel („Die wirtschaftliche Situation in Deutschland und Österreich um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert“) stand, werden heute Themen sämtlicher Epochen oder im diachronen Vergleich über mehrere Zeitabschnitte, vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, vorgestellt und diskutiert. Die Beiträge werden in Tagungsbänden veröffentlicht, um so ein breiteres (Fach-)Publikum zu erreichen und auf Forschungsdesiderate hinzuweisen.
Literatur
Hermann Kellenbenz: Zwanzig Jahre Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. In: Ders. (Hg.): Wirtschaftsentwicklung und Umweltbeeinflussung (14.-20. Jahrhundert). Bericht der 9. Arbeitstagung der Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (30.3.-1.4.1981) (Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 20). Wiesbaden 1982, S. 3-25.
Jörg Rode: Die Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (1961-1998) (Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 84). Stuttgart 1998.
[1] § 1 Abs. 2 der am 13. April 2007 in Kraft getretenen Satzung der GSWG.
[2] Jörg Rode: Die Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (1961-1998) (Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 84). Stuttgart 1998, S. 23.
[3] Ebd., S. 41.